Die Deutschen arbeiten ab heute nicht mehr für den Staat – und die Schweizer? | NZZ (2024)

In Deutschland wird ein Rekord bei der Belastung durch Zwangsabgaben vermeldet. Schweizer sollten sich dabei nicht in Schadenfreude üben. Auch hierzulande wird bis weit ins Jahr hinein für den Staat geschuftet.

Jürg Müller, NZZ-Storytelling

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In Deutschland wird seit 3 Uhr 27 wieder für die eigene Tasche gewirtschaftet. Gemäss der Berechnung des Bundes der Steuerzahler (BdSt) fällt der sogenannte «Tax Freedom Day» in Deutschland auf den heutigen 19.Juli. Die etwas pseudoexakte Uhrzeit ergibt sich aus einer Einkommensbelastungsquote von 54,6%. Der Durchschnittsdeutsche kann damit laut BdSt nur über knapp die Hälfte des 2017 erarbeiten Einkommens selber verfügen.

Wirklich ein Rekord?

Die Belastung mit Steuern und Abgaben hat 2017 laut BdSt einen Rekord erreicht – wenn man das Jahr 2002 ausblendet. Damals wurde nämlich der «Tax Freedom Day» in Deutschland am 23.Juli ausgerufen. Auf Nachfrage erklärt der BdSt, dass dieser Tag damals eine Prognose darstellte und der eigentliche Tag auf Grundlage revidierter Daten früher war.

Allerdings ist auch der 19.Juli 2017 eine Prognose, denn die definitiven Zahlen sowohl zum Steueraufkommen als auch zur volkswirtschaftlichen Leistung sind noch nicht bekannt. So ganz vermag die Erklärung des BdSt somit nicht zu überzeugen. Dessen ungeachtet ist allerdings klar, dass die Einkommensbelastungsquote einen Trend nach oben aufweist.

Der jüngste Anstieg erklärt sich dabei zumindest teilweise mit konjunkturellen Effekten. In Zeiten gut laufender Konjunktur steigen tendenziell auch die Einkommen. Bei einer bestehenden Steuerprogression bedeutet das auch eine gesamthaft höhere Abgabequote. Diesen Effekt konnte man bereits in früheren Jahren beobachten.

«Steuerhölle» Deutschland

Christoph Eisenring, Berlin

Bei der Berechnung stellt der BdSt nicht nur auf Steuern ab, sondern berücksichtigt auch weitere Gebühren wie beispielsweise den Rundfunkbeitrag oder Konzessionsabgaben auf Strom, Gas und Wasser. Um dann auf die Einkommensbelastungsquote zu kommen, werden alle Zwangsabgaben im Verhältnis zum Volkseinkommen gesetzt.

Im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern liegt Deutschland an der Spitze. Am frühesten im Jahr liegt der «Tax Freedom Day» in den USA, er wurde 2017 bereits am 23.April gefeiert. Im Nachbarland Kanada wurde es schon Sommer, dort fiel der Tag auf den 9.Juni. Die Briten mussten noch einmal drei Tage länger arbeiten, und zwar bis zum 12.Juni. Diese internationalen Vergleiche sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da die Berechnung von Land zu Land unterschiedlich ausfallen kann.

Und in der Schweiz?

In der Schweiz wurde der «Tax Freedom Day» für 2017 (noch) nicht berechnet. Letztmals hat sich die Denkfabrik Avenir Suisse 2015 dieser Aufgabe angenommen und ist damals auf den 10.Juli gekommen. Dieses Datum scheint auf den ersten Blick dem Bild des Steuerparadieses Schweiz zu widersprechen.

In der Tat liegen die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) berechneten «Tax Freedom Days» für die einzelnen Gemeinden weit früher im Jahr. Diese Daten können allerdings nicht mit den internationalen Tagen verglichen werden, wie auch die Steuerbehörde selber schreibt.

In den Berechnungen der EStV werden nur die Einkommenssteuern von natürlichen Personen berücksichtigt. Diese Zahl ist damit massiv zu niedrig, da weder Vermögenssteuern, Mehrwertsteuern noch andere Pflichtabgaben wie AHV-Beiträge, Krankenkassenprämien oder Radio- und Fernsehgebühren berücksichtigt werden. Zum Vergleich: In Deutschland schlagen die Einkommensteuern nur mit knapp 23% bei allen Zwangsabgaben zu Buche.

Wie sieht es nun aber mit dieser direkten Steuerbelastung aus? Wie lange für die Einkommenssteuern gearbeitet wird, hängt stark von der Wohngemeinde und vom Zivilstand ab, wie die folgenden Grafiken zeigen, die sich alle auf das Steuerjahr 2016 beziehen.

Singles werden in allen Kantonen relativ stark zur Kasse gebeten. Zürich weist eine eher geringe Steuerbelastung auf. Am besten fährt man im Kanton Zug.

Wesentlich weniger lange für die Steuern arbeiten muss ein Einverdiener-Ehepaar mit zwei Kindern und einem Verdienst von 100000 Fr. Auch in dieser Kategorie steht Zug an der Spitze, aber der Unterschied zu den anderen Kantonen ist weniger ausgeprägt als bei den kinderlosen Ledigen.

Bei Zweiverdiener-Ehepaaren mit zwei Kindern und einem Einkommen von 200000 Fr. langt der Steuervogt schon wieder kräftiger zu. – Die Ausnahme dazu stellt erneut der Kanton Zug.

In einer früheren Version wurde der «Tax Freedom Day» 2015 in der Schweiz mit dem 4.Juni angegeben; Avenir Suisse hat in der Zwischenzeit diese Zahl korrigiert. Auf der Grundlage des Nettonationaleinkommens ergibt sich der 10.Juli, auf Basis des Bruttoinlandprodukts der 11.Juni.

Der Mythos vom Steuerparadies Schweiz Grossverdiener liefern dieses Jahr im Schweizer Durchschnitt 34 Prozent ihres Einkommens als Steuern ab. Einschliesslich Sozialversicherungen ist die Belastung noch deutlich grösser.

Hansueli Schöchli

Kräftige Teuerung des Gesundheitswesens In einer Umfrage unter 231 internationalen Krankenversicherern wird für Europa dieses Jahr ein Kostenschub von 3,5% erwartet. Die USA enteilen mit +8,1%; die Schweiz liegt mit +5,4% auch vorne.

Werner Enz

Nichts anderes als eine Steuererhöhung Die von der Betreuungsinitiative geforderte Lohnabgabe sei eine verkappte Steuererhöhung für Unternehmen, sagen die bürgerlichen Gegner. Für billigere Krippen brauche es andere Lösungen.

Walter Bernet

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